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Texte mit Emotion: So gehts

Am 6. September 1997 stand ich im Londoner Hydepark. Um mich herum tausende Menschen mit hängenden Schultern und verweinten Augen.

Am 6. September 1997 wurde Lady Di beerdigt.

Die Trauerfeier wurde auf eine Grossleinwand im Hydepark übertragen. Es war ein sonniger Nachmittag, doch keiner sah den blauen Himmel. Wer mit Freunden oder Familie da war, hielt sich an den Händen. Noch rissen die meisten sich zusammen, aber als Elton John sein «Goodbye England's Rose» spielte, brachen alle Dämme. Auch mir liefen Tränen übers Gesicht.

Warum ich Ihnen das erzähle? Weil es die Macht der Gefühle zeigt und Sie daraus etwas für Ihre Texte lernen können.

Sprache und Gefühle: Aufklärungsarbeit

Elton John singt Goodbye England's Rose

An jenem denkwürdigen Tag im Hydepark war ich noch Banker und geschäftlich in London. Ich neigte nicht zu Gefühlsduselei. In meinem Leben war die Vernunft die führende Kraft.

Glaubte ich.

Die Vernunft, das weiss ich heute, ist immer der Juniorpartner. Der Chef im Ring ist die Emotion. Deshalb müssen gute Texte nicht nur die richtigen Argumente enthalten, sondern auch die Gefühle der Leser ansprechen.

Es hilft nicht, den Text mit emotionalen Adjektiven zu spicken. Adjektive sind Wörter; die erreichen den Verstand. Sie werden im Neocortex (Codename: «Neo»), der entwicklungsgeschichtlich jüngsten Schicht unseres Gehirns verarbeitet. Für Gefühle ist das limbische System (Codename «Limbo») zuständig. Das hat ein paar hundert Millionen Dienstjahre mehr auf dem Buckel und viel mehr Einfluss als der kleine Neo.

Neo versteht Texte. Limbo versteht Bilder. Neo denkt nach und wägt ab und stellt dann einen Antrag. Bis das gelaufen ist, hat Limbo längst entschieden. (Zum Glück, sonst hätten Sie zu spät gebremst und das Postauto vor Ihnen gerammt.)

Ein Experiment: Ihre kleine Tochter hat sich das Knie aufgeschlagen. Es wäre wichtig, die Wunde zu reinigen und ein Pflaster draufzukleben. Aber das Kind schreit wie am Spiess und hält nicht still.

Sie sagen: «Hör doch mal kurz auf zu weinen, damit wir die Wunde versorgen können. Die entzündet sich sonst. Das willst du doch nicht.»

Das Kind schreit weiter wie am Spiess.

Bei uns zu Hause lief das etwas anders.

Ich hatte für solche Fälle immer Pflaster mit Feenstaub parat. Die haben prima beim Heilen geholfen. Das Problem war nur: Wenn man den Feenstaub herunterpustet, hilft das Pflaster nicht.

Ich hole also meine besondere Pflasterdose und zeige sie meiner Tochter. Die kennt das schon. Sie schaut hin und ist für eine Nanosekunde abgelenkt.

«Jetzt gut aufpassen, wegen des Feenstaubs.»

Sie nickt und hält sich schluchzend die Hand vor den Mund, um ganz sicher zu gehen. Wir machen einen Spritzer Feen-Desinfektion auf die Wunde und kleben ganz vorsichtig das Pflaster drauf (wir halten natürlich beide die Luft an). Als das geschafft ist, wird uns schon der Atem knapp und wir japsen nach Luft.

Ich sage: «Das haben wir gut hingekriegt.»

Meine Tochter wischt sich die Nase an ihrem Pullover ab und nickt mir zu. Dann läuft ein Schauer durch den kleinen Körper und danach ist schon wieder Platz für den Anflug eines beinahe stolzen Lächelns.

«Das hat richtig fest geblutet.»

«Ja, das hat es. Und du warst so tapfer, als wir das Feenstaub-Pflaster draufgemacht haben. Hättest du nicht die Luft angehalten, wär alles für die Katz gewesen.»

«Weiss ich doch, Papa.» (Zieht die Nase hoch und schaudert noch einmal kurz.)

Wie man Texte schreibt, die zu Herzen gehen

Wenn ein Kind etwas Schlimmes erlebt hat, ist es für Argumente taub. Es ist in einem Gefühl gefangen, das seine gesamte Vorstellungskraft einnimmt. Gute Ratschläge sind jetzt keine Hilfe. Die richten sich an Neo, aber der ist gerade nicht am Ruder. Wir müssen Limbo erreichen und der versteht nur Bilder.

Deshalb hole ich die Pflasterdose und von da an gehts bergauf.

Als ich meiner Frau diesen Text zum Gegenlesen gab, gefiel ihr die Episode mit dem Pflaster am besten. Das war nicht anders zu erwarten und bestätigt eine alte Texter-Weisheit:

Texte, die berühren, müssen im Kopf zu Bildern, Klängen oder Empfindungen werden.

Aber wie schreibt man so, dass Texte im Kopf zu Bildern, Klängen oder Empfindungen werden?

Dazu müssen Sie lernen, sich und andere genau zu beobachten, in sich hineinzuspüren und aufmerksam nachzuzeichnen, was Sie berührt.

Beobachten Sie die Menschen: Wie zeigen sie ihre Gefühle?

  • Wie sieht Freude aus? Die Mundwinkel permanent nach oben gereckt, aufrechte Haltung, federnder Gang, man möchte Hände schütteln, Leute umarmen, die tolle Neuigkeit erzählen.
  • Wie sieht Trauer aus? Hängende Schultern, kaum Körperspannung, gesenkter Blick, teilnahmslos ins Leere starrend. Man zieht sich zurück in eine dunkle Ecke, wo man seine Wunden leckt.
  • Wie sieht Wut aus? Die Augen zu glühenden Schlitzen verengt, das Gesicht verschwitzt und rot vor Zorn, man möchte Porzellan zerschlagen, jemanden anschreien und den gerechten Kampf kämpfen.

Es gibt natürlich noch viel mehr Gefühle. Aber für alle gilt der gleiche Tipp: Ganz genau hinschauen und nachspüren, was passiert.

 

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Gefühle erzählen: 6 Tipps

 

 

Tipp 1: Klischees meiden

«Eine Träne stahl sich in ihr Auge», «er schnaubte vor Wut», «ihre Augen glänzten vor Glück» oder «zornentbrannt stampfte sie mit dem Fuss auf». Das sind verbrauchte Floskeln zum Ausdruck von Gefühlen. Woran Sie das merken? Sie fallen Ihnen als erstes ein (weil Sie sie schon tausendfach gelesen haben).

Wer schreibt wie tausend andere, macht seinen Leser:innen wenig Freude. Deshalb müssen Sie die Floskeln gleich wieder löschen und lieber etwas originelles Schreiben, das Sie durch genaues Hinsehen und Nachspüren selbst erkannt haben.

Tipp 2: Brieftechnik

Stellen Sie sich das mal vor: Peter und Lucy erwarten ihr erstes Kind. Die Schwangerschaft war kompliziert, und die letzten Wochen zogen sich endlos hin. Doch dann kommt der grosse Tag: Die Wehen setzen ein, und Peter und Lucy fahren ins Spital. Lange tut sich nichts. Nach 16 Stunden beginnt endlich die Geburt. Peter hält Lucys Hand, gemeinsam arbeiten sie sich durch Schmerz und Freude. Dann endlich ist das Kind da. Die Hebamme legt es der Mutter in die Arme.

Das ist Material für grosse Gefühle.

Goethe hat gerne die Brieftechnik benutzt, um die Leser in die Gefühlswelt seiner Figuren zu holen. Heute können Sie auch eine Whatsapp-Nachricht daraus machen. Aber wir schreiben heute mal im Stil von Goethes jungem Werther. Er sitzt an seinem Schreibtisch. Die Morgensonne strahlt in ein Erkerfenster und taucht den Raum in goldenes Licht. Er schreibt:

Lieber Freund, es ist nun Morgen. Die Nacht habe ich bei Lucy im Spital verbracht – die kleine Lotte ist endlich geboren. Was soll ich sagen? Die rosa Händchen, die hauchfeinen Wimpern und der zarte Flaum auf ihrem Kopf ... Wir sind beide verzaubert. Fast einen Tag hat es gedauert, bis das Kind endlich da war. Wir waren beide völlig erschöpft. Und dann legt die Hebamme das Kind in Lucys Arme. Die Welt steht still ...

Ein moderner Werther würde vielleicht eine Whatsapp-Nachricht schreiben. Die klänge dann womöglich so:

👶 Lotte ist endlich hier. Unbeschreiblicher Moment. Lucy hat sie im Arm. Überwältigt vor Glück. ❤️

oder so:

👣 Unsere kleine Lotte ist da. Ein anstrengender Tag, ja, aber als sie in Lucys Armen lag: pure Magie. 💖

oder so:

🎉 Hey, Lotte ist da! 🎉 16 Stunden Hardcore-Wehen, aber es hat sich gelohnt. Lucy und ich können nicht aufhören, sie anzustarren. 😍 Alles paletti!

oder so:

👶 Lotte ist gelandet! 🛬 Echt anstrengend, aber jetzt haben wir unsere Mini-Me. 👨‍👩‍👧 Lucy und das Baby sind topfit. 🥰

oder so:

🚨 Baby-Alarm! 🚨 Lotte ist da. Endspurt war heftig, aber Lucy ist ne Kämpferin. 🤱 Wir sind hin und weg. 😊

oder so:

🎈 Es ist ein Mädchen! 🎈 Lotte hat's geschafft, Lucy auch. Ein langer Tag im Spital, aber jetzt sind wir eine Familie. 🤗

Tipp 3: Metaphern

Stimmige Metaphern sind ein starkes Stilmittel. Sie nehmen ein ancshauliches Bild und übertragen seine Bedeutung auf einen anderen Zusammenhang. In seinem «Leviathan» schreibt Arno Schmidt über die Hitlerjugend:

«Ihre Augen leuchteten wie die Scheiben brennender Irrenhäuser».

Grandios.

Und wie ist es mit Lotte? Welche Metapher beschreibt das Wunder ihrer Ankunft?

Vielleicht diese?

Ihre Ankunft war wie der erste Schneefall im Winter – still, rein und magisch.

Oder diese?

Es war wie der erste Atemzug nach dem Auftauchen aus tiefem Wasser.

Oder diese?

Lotte hat eine Tür geöffnet, von der wir gar nicht wussten, dass es sie gab.

Oder diese?

Als Lucy sie in den Armen hielt, fühlte es sich an, als hätte jemand die Schwerkraft ausgeschaltet.

Oder diese?

Als Lotte in Lucys Armen lag, hielt die Welt den Atem an.

Oder diese?

Mit Lotte fühlt es sich an, als hätten wir den Mond vom Himmel geholt.

Oder diese?

Lotte ist der Sonnenstrahl, der den ganzen Raum erhellt.

Tipp 4: Innere Monologe

Wenn Thomas Mann den emotionalen Aufruhr des jungen Vaters hätte schildern müssen, wäre es vielleicht ein innerer Monolog geworden:

Ich stand neben ihr, ihre Hand fest in meiner. Was passiert hier? Wie kann ich plötzlich Vater sein? Gestern war ich doch selbst noch Kind.
Bin ich für all das bereit? ...

Oder so, etwas pragmatischer?

Okay, sie ist da. Lotte ist da, und jetzt muss gehandelt werden. Windeln, Fläschchen, Arzttermine. Lucy wird Unterstützung brauchen. Kann ich das alles schaffen? Ich muss, es gibt keinen Weg zurück. Und hey, ich habe schon schwierigere Herausforderungen gemeistert. Ich bin bereit.

Oder eher sentimental?

Meine kleine Lotte – endlich in meinen Armen. Es ist, als hätte die Welt für einen Moment den Atem angehalten. Emotionen überrollen mich. Kann ich diesem kleinen Wesen all die Liebe und Geborgenheit geben, die es braucht? Ich werde alles geben, um sie sicher in diese Welt zu geleiten.

Oder ängstlich?

Was mache ich hier? Kann ich das? Was, wenn ich versage? Was, wenn ich ihr weh tue, sie nicht beschützen kann? Sie ist so zerbrechlich, so klein. ...

Oder doch eher optimistisch?

Das ist der erste Tag vom Rest meines Lebens. Lotte ist hier, und alles wird grossartig. Es wird anstrengend werden, schlaflose Nächte und alles; aber wir werden das meistern. Lucy und ich, wir sind ein Team. Und jetzt sind wir ein Trio. Unser Leben hat gerade erst begonnen.

Tipp 5: Indirekte Perspektive:

Wenn es Ihnen schwerfällt, die Gefühle einer Figur szenisch zu beschreiben, können Sie auch den Blickwinkel einer anderen Figur benutzen. Wenn Sie Peters Gefühle aus der Sicht seiner Mutter erzählen, kommen Sie automatisch in eine beschreibende Sprache:

Sie schaute zu Peter, der im Lehnstuhl am Küchenfenster sass. Die Augen waren ihm zugefallen, der Kopf ans Fenster angelehnt. Endlich friedlich, als wäre er selbst ein Baby. Die verknitterten Kleider, die verstrubbelte Frisur: Stumme Zeugen seines Triumphs.

Peters Vater erlebt das vielleicht so:

Er betrachtete Peter, wie er mit seiner Tochter im Arm vor ihm stand, und fühlte sich plötzlich wieder jung. Es war als würde ein Kreis sich schliessen. Peter wirkte erleichtert, aber auch erschöpft, wie ein Bergsteiger, der endlich das Gipfelkreuz erreicht hat.

Paul, Peters Bruder, erlebt es wieder anders:

Er sah seinen Bruder neben Lucy und dem Baby stehen und konnte nicht fassen, wie sehr sich alles verändert hatte. Peter, der immer der Draufgänger war, der Unabhängige, stand da und war plötzlich Vater – fürsorglich, vorsichtig, beschützend. Eine ganz neue Seite.

Und was erlebt der Trauzeuge?

Peter hat die Welt erobert. Ich kannte ihn vom Sport, vom Feiern, in ernsten und in lustigen Momenten. Aber so, wie er jetzt neben Lucy und Lotte stand, hatte ich ihn noch nie gesehen. Er wirkte wie ein Mann, der endlich seinen Platz im Universum gefunden hatte.

Und die Hebamme? Alles Routine oder was?

Sie hatte schon viele frisch gebackene Väter erlebt, aber Peter war anders. Die meisten Männer wirkten erleichtert oder nervös, aber Peter strahlte ein inniges Glück aus, das den ganzen Raum erfüllte. Als wäre er für diesen Moment geschaffen worden, als hätte er sein ganzes Leben darauf gewartet, Vater dieser kleinen Lotte zu werden.

Tipp 6: Dialog

In Dialogen können Sie Gefühle direkt oder indirekt zeigen.

Beim direkten Weg reden die Gesprächspartner über ihre Empfindungen:

«Ich war so glücklich, als ich das Kind in Lucys Armen sah.»

Im wirklichen Leben reden die Menschen viel häufiger über andere Sachen, selbst wenn sie ihren Gefühlen Luft machen wollen. Wenn jemand sagt:

«Du denkst immer nur an dich!»,

kann das zum Beispiel bedeuteten: «Ich fühle mich einsam, weil du mich gar nicht mehr wahrnimmst.» oder «Ich habe Angst zu scheitern. Hilf mir.» oder «Ich fühle mich klein und unbedeutend neben dir».

Was genau es bedeutet, ergibt sich aus dem Zusammenhang und der gemeinsamen Geschichte der beiden Gesprächspartner. Diese indirekte Methode macht sich auch in Ihren Texten gut. Bei Peter und Lucy könnte das Elternglück vielleicht so klingen:

«Hörst du, wie sie atmet?»

Ihre müden Augen suchen seine. Er lauscht und schaut sie an.

«Sie macht so kleine gieksende Geräusche.»

«Wie schön sie ist.»

Er nimmt Lucys Hand und streichelt sie.

«Unfassbar wie zart und klein sie ist. Die Finger, die Wimpern. Schau dir die Wimpern an.»

«Die hat sie vom Papa.»

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Danke.

Das wars für heute.

wiemeyer matthias rund

Herzliche Grüsse
Matthias Wiemeyer

  

  
  


 

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